Stand: 16.11.2020 10:00 Uhr

Mit dem brutalen Mord an einem französischen Lehrer, der Mohammed-Karikaturen im Unterricht gezeigt hatte, ist der islamistische Terror zurück in Europa. Wie denken Muslime hierzulande darüber? Und was macht so ein Attentat mit Lehrern?

von Peter Helling

Vor genau fünf Jahren wurden in Paris 130 Menschen bei islamistisch motivierten Terroranschlägen getötet. Lange glaubte man, der Terror sei verschwunden, vor Kurzem aber erschütterte Westeuropa eine neue Serie von Anschlägen. Begonnen hatte es mit der Ermordung des französischen Lehrers Samuel Paty, weil er Mohammed-Karikaturen im Unterricht gezeigt hat.

Bei Mohammed-Karikaturen hört der Humor auf

Mehdi Aroui hat gegen einen guten Witz nichts einzuwenden, bei Mohammed-Karikaturen hört sein Humor aber auf. „Ich sehe da mein Humorzentrum nicht wirklich angesprochen“, sagt er. „In den islamischen Werten ist es so, dass der Prophet, Friede und Heil sei auf ihm, der beste Mensch auf Erden ist, der jemals gelebt hat.“ Mehdi Aroui ist im Vorstand der Schura, des Rates der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg. Eins stellt er sofort klar: Dass der französische Lehrer Samuel Paty wegen des Zeigens der Karikaturen bestialisch ermordet wurde, verurteilt er aufs Schärfste. „Wir distanzieren uns, das ist ein Terrorakt, Extremismus, und den können wir nur von uns weisen“, betont er.

„Stimmen moderater Muslime gehen unter“

Aroui, der in Frankreich zur Schule gegangen ist, kennt die französische Gesellschaft mit ihrer harten Trennung von Staat und Kirche gut. Anders die säkulare deutsche, wo der Paragraph 166 ausdrücklich dem Beschimpfen religiöser Gemeinschaften Grenzen setzt. Das müsse auch für Karikaturen gelten, meint der deutsche Moslem aus Hamburg. Die Stimmen moderater Muslime, der klaren Mehrheit, gingen aber gerade unter. „Jeder, der jetzt sagt, ich bin gegen die Mohammed-Karikaturen, läuft Gefahr, als Extremist oder als ‚Terror-Versteher‘ abgestempelt zu werden oder irgendwie in so eine Ecke geschoben zu werden“, beklagt er. „Die Ecke“ heißt für ihn: „Du bist kein Demokrat. Du gehörst nicht dazu.“ Gibt es das, ein Recht auf Blasphemie? „Ich finde nicht.“

Schüler haben Berührungsängste

Für Lehrerin Lisa P. (NDR.de ist der vollständige Name bekannt) geht es nicht so sehr um die Frage, ob es Blasphemie gibt: „Wir sehen uns damit konfrontiert, wie gehen wir damit um? Wie kann man mit dem Gefühl umgehen, das einen verletzt oder erniedrigt?“ Sie unterrichtet an einer Hamburger Schule. Die Enthauptung des Lehrers Samuel Paty war für sie ein Schock, in der Klasse aber kein Gesprächsthema, anders als etwa das Attentat von Hanau im Februar.

Der Migrationsanteil ihrer fünf Klassen liegt bei rund 70 bis 80 Prozent, viele ihrer Schülerinnen und Schüler seien Moslems. Sie könne nachvollziehen, dass die Schüler Berührungsängste hätten, mit diesen Themen offen umzugehen. „Weil sie Angst haben, in eine Schublade gesteckt zu werden“, sagt sie. Dennoch, auf die Frage, ob sie die Karikaturen in ihrer Klasse thematisieren würde, kommt die klare Antwort: „Ja. Auf jeden Fall, der Ansatz der Lehrerinnen und -lehrer in Hamburg ist ja, dass man das, was in der Gesellschaft geschieht, auch kontrovers darstellen soll.“

Über Karikaturen ins Gespräch kommen

Heißt das auch, Karikaturen mit in den Unterricht zu bringen? Lisa P. reagiert nachdenklich. „Ich würde jetzt nicht nur eine Mohammed-Karikatur zeigen und sagen, ’so, jetzt reden wir einmal über die Karikatur, wie reagieren Muslime darauf?'“, sagt sie. „Ich würde verschiedene Karikaturen nebeneinander stellen und darüber ins Gespräch kommen. Ich würde vermeiden, eine Karikatur und damit eine Kultur oder Religionsgemeinschaft vorzuführen.“ Die Lehrerin möchte damit zu Gesprächen anstiften, darüber, was satirische Zeichnungen für einige so verletzend macht.

Wo sind die Grenzen der Meinungsfreiheit?

Mehdi Aroui bleibt dabei: Solche Zeitungen sollten nicht in den Unterricht. Lisa P. wünscht sich für die muslimischen Gemeinschaften einen Lernprozess, ähnlich dem langjährigen und andauernden der christlichen Kirchen. Das heiße einerseits, eigene Verletzungen klar und deutlich zu artikulieren, und es andererseits auch auszuhalten. Was die Schüler und Schülerinnen täglich in ihren Smartphones sehen können, findet die Lehrerin viel schockierender als jede Zeichnung. Das Problem sei also größer: „Wir haben viele Konflikte, die gerade darum gehen, was kann man sagen und was kann man nicht mehr sagen? Und wo zieht man eine Grenze?“, sagt sie: „Und dass man anhand verschiedener Beispiele deutlich macht, dass es da um die Ausdehnung oder die Dehnbarkeit von Meinungsfreiheit geht.“

Und auch um die Freiheit der Meinung, Witze absolut nicht witzig zu finden.